10.11.2018 Stellungnahme

Kirchen und Religionsgemeinschaften fordern mehr Schutz für Flüchtlinge

Der Jesuiten-Flücht­lings­dienst (JRS Schweiz) begrüsst zwei neue kirchliche Dokumente zur Migrationspolitik in der Schweiz. Ausgangspunkt beider ist die schlichte ethische Forderung: Die Würde aller Menschen ist unantastbar, egal welchen Aufenthaltsstatus sie haben.

Am 7.11.2018 erschien im Schweizer Kontext die erste interreligiöse Erklärung zu Flüchtlingsfragen unter dem Titel: «Gegenüber ist immer ein Mensch». Ihre Bedeutung ist nicht zu unterschätzen, wurde sie doch verabschiedet von den jeweils höchstmöglichen Autoritäten der drei abrahamitischen Religionen in der Schweiz: Der Christkatholischen Kirche, dem Evangelischen Kirchenbund, der Bischofskonferenz, der Föderation Islamischer Dachorganisationen, der Koordination Islamischer Organisationen und dem Israelitischen Gemeindebund.

Ebenfalls ein Werk erfreulicher Zusammenarbeit ist die bereits am 25.10.2018 veröffentlichte Schrift der drei Neuenburger Landeskirchen unter dem Titel: «Principes concernant la migration et l’asile». Ein ökumenisches Instrumentarium zur theologisch-ethischen Begründung der christlichen Grundoptionen für eine solidarische Gesellschaft.

Zur ökumenischen Schrift aus Neuenburg

Die Neuenburger Schrift erinnert an fünf grundlegende Prinzipien sozialethischen Handelns, die an die biblisch-theologische Tradition wie auch an die universalen Grundrechte anknüpfen:

  • 1. Die Grundrechte gelten für alle Menschen ohne jegliche Einschränkung in gleicher Weise.
  • 2. Die benachteiligten Personen und die Minderheiten haben unsere Solidarität besonders nötig.
  • 3. Der soziale und politische Zusammenhalt unter uns und in der ganzen Welt muss durch das Bewusstsein der universalen Geschwisterlichkeit ständig geschützt und gefördert werden.
  • 4. Das Praktizieren der Religion als Quelle der persönlichen und gemeinschaftlichen Identität ist zu respektieren. Ebenso auch das Recht der Einzelnen, Glaube und Zugehörigkeit frei zu wählen.
  • 5. Die Familie als grundlegender Ort gegenseitiger Unterstützung muss geschützt werden. Unbegleitete minderjährige Migrant*innen verdienen besondere Hilfe und Aufmerksamkeit.

Zur interreligiösen Erklärung

Die Unterzeichner* der interreligiösen Erklärung formulieren ebenfalls fünf Punkte für einen wirksamen Flüchtlingsschutz. Sie richten die fünf Appelle explizit an den Staat und die Politik sowie an alle Religionsgemeinschaften. Implizit aber auch an alle zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteurinnen und Akteure.

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Schweiz unterstreicht daraus folgende Forderungen:

Alle Massnahmen zum effektiven Schutz der an Leib und Leben bedrohten Menschen, wie:

  • Das Bekenntnis zum neuen globalen Pakt für Flüchtlinge der UNO (Global Compact on Refugees) und zum umfassenden Rahmenplan für Flüchtlingshilfemassnahmen.
  • Fluchtursachenbekämpfung und «Schutz vor Ort» sind wichtig. Sie dürfen den Schutz in der Schweiz aber nicht ersetzen.
  • Der Einsatz für legale Fluchtwege braucht einen massiven Ausbau der gegenwärtigen Resettlement-Programme und zudem eine Erleichterung der humanitären Visa.
  • Die Einführung eines neuen subsidiären Schutzstatus, dies anstelle der «vorläufigen Aufnahme». So können Flüchtlinge aufgenommen werden, auch wenn sie gemäss der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951 nicht als Flüchtlinge eingestuft werden, weil es damals diese Gefahren noch nicht gegeben hatte.

2. Alle Massnahmen, die ein gutes/ menschenwürdiges Ankommen und Einfinden in einer solidarischen Gesellschaft fördern, wie:

  • Rasche umfassende und therapeutische Hilfe für traumatisierte Menschen, ob die Trauma zu den Fluchtursachen gehören oder auf der Flucht geschehen sind.
  • Deutschkurse und soziale Kontakte mit ansässigen Menschen schon während des laufenden Asylverfahrens.
  • Generell ein schneller und einfacher Familiennachzug für geflüchtete Menschen, «unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus und unabhängig davon, wie und wo die Familie getrennt wurde».

3. Der fünfte und letzte Appell bezüglich der «Rückkehr in Würde» berührt eine grundlegende migrations-ethische und asylpolitische Diskussion:

  • Aufgrund des Kindeswohls sollten Zwangsausschaffungen für Familien generell ausgeschlossen werden.
  • Ausschöpfung der Härtefallregelungen sowie selbstbestimmte und freiwillige Rückkehr von abgewiesenen Asylsuchenden, so dass Zwangsausschaffungen nur als allerletzte Massnahme angewendet werden.

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Schweiz unterstützt die beiden Forderungen in Bezug auf die Problematik von Zwangsausschaffungen, gibt aber zusätzlich zu bedenken: Nötig ist eine grundlegende Neuorientierung jeglicher Politik, die Migration mit Zwangsmassnahmen steuern und kontrollieren will. In diesem Punkt geht die Neuenburger Handreichung weiter, da sie mit den fünf Prinzipien bei einer grundsätzlichen Haltung bleibt und die mit dem Respekt vor der menschlichen Freiheit und Solidaritätsfähigkeit an die 2015 veröffentlichte Migrationscharta erinnert.

hier kann die weibliche Form leider noch nicht gebraucht werden

Das sind die Links zu den beiden neuen Dokumenten:

«Gegenüber ist immer ein Mensch»: docs.wixstatic.com/ugd/df7819_a99a47a58a854c29813749ef2f9a7868.pdf

«Principes concernant la migration et l′asile»: docs.wixstatic.com/ugd/882537_2545abd515f042b0aedab8a0c22402e1.pdf

Das ist der Link zum Manifest der Migrationscharta: www.migrationscharta.ch/manifest/