Ausschaffungshaft und Alternativen

Ausschaffungshaft:

  • hält Menschen ohne Vergehen bis zu 18 Monaten in Gefangenschaft

  • ist schlimmer als Strafvollzug, denn die Ausschaffungshäftlinge wissen weder warum, noch wie lange sie in Haft sind

  • ist, im Unterschied zum Strafvollzug, nicht auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft ausgerichtet; das Fehlen jeder Perspektive macht das Warten unbestimmter Dauer noch unerträglicher

  • macht Menschen krank

  • ist um ein vielfaches Teurer als jede andere Alternative

Deshalb sei hier an verschiedene Studien erinnert, die in den letzten Jahren dazu publiziert wurden.

Wie Abschiebungshaft Menschen krank macht - eine Untersuchung des JRS:

Abschiebungshaft vermeiden – eine Folgeuntersuchung des JRS:

Abschiebungshaft kann vermieden werden, wenn Behörden den davon bedrohten Flüchtlingen und Migranten auf Augenhöhe begegnen. Das ist das Ergebnis einer Studie in mehreren EU-Ländern, die der Jesuiten-Flücht­lings­dienst vorgelegt hat.

«Unsere Ergebnisse zeigen: Es gibt Alternativen zur Abschiebungshaft! Die Betroffenen sind bereit, mit den Behörden zu kooperieren, wenn sie den Eindruck haben, mit ihren Anliegen ernst genommen zu werden», sagt Martin Stark SJ, Direktor des Jesuiten-Flücht­lings­dienstes Deutschland. Dazu gehöre eine umfassende, möglichst unabhängige Beratung über ihre Chance auf Asyl oder eine Aufenthaltserlaubnis, ein qualifizierter Rechtsbeistand und die Absicherung existenzieller Bedürfnisse. «Wenn sie den Eindruck haben, dass ihr Antrag ernsthaft und ergebnisoffen geprüft wird, dann sind sie am Ende auch bereit, selbst ein negatives Ergebnis und die Ausreisepflicht zu akzeptieren», so Stark. «Die Praxis vieler Ausländerbehörden geht aber nicht vom Guten, sondern vom Schlimmsten im Menschen aus. Oft wird pauschal unterstellt, dass Ausländer untertauchen wollen, und dann werden sie verhaftet.»

Stark kritisiert die hohe Zahl von Flüchtlingen, die inhaftiert werden, um wegen europäischer Zuständigkeitsregeln in einen anderen EU-Staat abgeschoben zu werden. «Diese Menschen suchen in Europa Schutz, sie haben also ein Anliegen, das sie an die Behörden bindet. Ihnen sollte nicht pauschal fehlende Kooperationsbereitschaft unterstellt werden.» Auch Jugendliche, Familien, psychisch Kranke und andere schutzbedürftige Personen gehören nicht ins Gefängnis. «Mit gezielten Beratungsangeboten, wie etwa in Belgien für Familien mit Kindern, lässt sich die Mitwirkung der Betroffenen stärken und Abschiebungshaft vermeiden», so Stark.

Den Einsatz elektronischer Fußfesseln zur Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer, wie in Großbritannien praktiziert, lehnt der Jesuit ab. «Die Fußfessel ist nur eine andere Form, den Freiheitsentzug zu vollziehen. Sie führt zur Stigmatisierung, zur Gleichstellung mit Kriminellen. Zudem verursacht die Fessel Schmerzen und manchmal Verletzungen.»

Für die Studie wurden im Sommer und Herbst 2011 Alternativen zur Abschiebungshaft in drei europäischen Ländern untersucht: ein Projekt zur Unterbringung von Familien ohne Aufenthaltsstatus in Belgien, eine Einrichtung der Jugendhilfe speziell für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland und der Einsatz von Meldepflichten und elektronischen Fußfesseln im Vereinigten Königreich. Hintergrund ist die Umsetzung der sog. Rückführungsrichtlinie der EU, die Abschiebungshaft nur im Ausnahmefall erlaubt und nur dann, wenn kein weniger einschneidendes Mittel gegeben ist, um die Ausreise sicherzustellen.

Empfehlungen aus der Evaluation eines Pilotprojektes des SRK

Die im Auftrag des Schweizerischen Roten Kreuzes erstellte Studie an der Universität Genf kommt auf Seiten 86-87 zu folgenden Ergebnissen:

Rahmenbedingungen in der Ausschaffungshaft und bei der Rückkehr

Der vorliegende Bericht untersucht das Pilotprojekt des SRK, insbesondere dessen Nutzen, Effektivität, Effizienz und Auswirkungen. Dabei haben wir die Rahmenbedingungen in der Ausschaffungshaft sowie bei der Rückkehr nur insofern beleuchtet, als dass diese die Projektumsetzung geprägt haben, wobei die Rahmenbedingungen als solche nicht Bestandteil der Evaluation gewesen sind. Die hier folgenden Empfehlungen gehen daher über den eigentlichen Bericht hinaus und stützen sich ausschliesslich auf unsere Beobachtungen ab.

5. In mehreren Gefängnissen sind die Bedingungen der Ausschaffungshaft denigen vergleichbar, die in traditionellen Gefängnissen gelten. Diese erlauben dem Individuum nicht, sich in einer sicheren Umgebung weiter zu entwickeln, eine sine qua non Bedingung für die Erarbeitung eines Rückkehrprojekts sowie die Mobilisierung individueller Ressourcen (im Sinne einer psychologischen Stabilität) für deren Vorbereitung. Im Gegenteil, solche Rahmenbedingunen in der Ausschaffungshaft verstärken die Feindseligkeit der Ausschaffungshäftlinge gegenüber den Behörden ebenso wie deren Nicht?Kooperation.

Wir empfehlen daher

  • die Rahmenbedingungen in der Ausschaffungshaft zu verbessern, und zwar indem die Ausschaffungshäftlinge – auf Wunsch – eine Einzelzelle wählen können, systematischen Zugang an die frische Luft und zu sportlichen Aktivitäten erhalten und die Besuchsmöglichkeiten ausgeweitet werden (es handelt sich hierbei um die Schaffung einer möglichst geringen pathogenen Umgebung, die statt die Feindseligkeit des Individuums gegenüber den Behörden verstärkt, vielmehr deren Disponibilität erhöht, was eine Rückkehrvorbereitung erst möglich macht);

  • vermehrt zwischen der administrativen Haft sowie der Straf- bzw. Untersuchungshaft zu unterscheiden, indem beispielsweise das Sicherheitspersonal keine Uniform trägt.

6. Hinsichtlich einer Verbesserung der Lebensbedingungen in den Ausschaffungsgefängnissen empfehlen wir Massnahmen zu entwickeln, die zum Ziel haben, die Ausschaffungshaft für die Migrantinnen und Migranten zu einer für sie nützlichen Zeit zu machen. Einige Ausschaffungshäftlinge haben eine ausgewiesene Berufserfahrung, manchmal gar einen Beruf, aber auch andere Ressourcen.

Wir empfehlen daher

  • ein Pilotprojekt zu realisieren, das aus der Ausschaffungshaft eine Lehr und Ausbildungszeit macht mit einer Kompetenzenbilanzierung, einer Ausbildung zur Rückkehrthematik oder für einige auch die Entwicklung eines beruflichen Reintegrationsprojekts;

  • ein solches Pilotprojekt mit einer kleinen Gruppe aufgrund bestimmter Kriterien – wie Familie im Ursprungsland, in der Vergangenheit erworbene Berufserfahrungen, oder auch Alter – sorgfältig ausgewählten Freiwilligen zu initiieren;

  • dieses Pilotprojekt unter Einhaltung einer individuellen Herangehensweise zu entwickeln und gemeinsam mit den Ausschaffungshäftlingen deren Situation und Ressourcen (oder Mangel an Ressourcen) zu prüfen. Diese individualisierte Herangehensweise bedeutet, dass die Laufbahn der Freiwilligen valorisiert wird und deren Möglichkeiten, autonom zu handeln, gestärkt werden;

  • dieses Pilotprojekt mit einer Vereinbarung zu starten, in der die daran teilnehmenden Ausschaffungshäftlinge gleichzeitig die Perspektive der Rückkehr akzeptieren;

  • dieses Pilotprojekt einerseits mit einer Verhandlung über das Rückkehrdatum (denn die Rückkehrvorbereitung verträgt sich schlecht mit einer völligen Unsicherheit in Bezug auf das Rückkehrdatum), andererseits mit einer in allen Kantonen gleichermassen gültigen finanziellen Hilfe für die berufliche Reintegration zu verknüpfen, wobei die finanziellen Hilfen zwischen CHF 4000.- bis CHF 6’000.? pro Ausschaffungshäftling variieren könnten."

Quelle: Nathalie Kakpo, Laure Kaeser et Sandro Cattacin, Evaluation du projet-pilote Detention
Enjeux, instruments et impacts de l’intervention dela Croix-Rouge Suisse dans les centres de détention administrative, Sociograph N°11 / 2011, 86-87, online verfügbar auf:
https://www.unige.ch/sciences-societe/socio/files/9614/0533/5917/sociograph11.pdf